Umberto Eco – Überzogene Textinterpretation

In seiner Vorlesung „Überzogene Textinterpretation“ geht Umberto Eco vertiefend auf die Grenzen der Textinterpretation ein. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die Grenzen die durch Ähnlichkeitsbeziehungen gesteckt werden und was zu beachten ist, um eine überzogene Textinterpretation zu vermeiden.

Definiert wird das Phänomen der „Ähnlichkeit“ erneut durch die hermetische Semiose. Durch Rückbezug auf ein mnemotechnisches Kompendiums aus dem 17. Jahrhundert unterstreicht Eco, dass das Aufspüren von Ähnlichkeiten allein nicht ausreichend ist, sondern, dass der Interpret darauf achten muss, dass „die vermeintliche Bedeuteng eines Zeichens als Zeichen wiederum auf eine Bedeutung verweist.“ Daraus leitet er ein weiteres Grundprinzip der hermetischen Semiose ab:

„Sind zwei Dinge einander ähnlich, dann kann das eine zum Zeichen für da andere werden und umgekehrt.“

Nun ist es Ecos Ziel in seiner Vorlesung die Verfahren der Überinterpretation aufzudecken.

Dabei kommt er auf folgende wichtigen Ergebnisse:

  • Aus einem bestimmten Blickwinkel, sind alle Dinge ähnlich oder vergleichbar, aber eine vernünftige Interpretation schließt unbedeutende Beziehungen aus, statt sie zu strapazieren.
  • Indizien sind scheinbar wichtig, aber nur unter folgenden Bedingungen: sie müssen auf eine Einzelursache (oder eine begrenzte Klasse möglicher Ursachen) verweisen, sie passen zu anderen Indizien
  • durch „exzessives Staunen“ besteht die Gefahr Koinzidenzen falsch zu deuten, post hoc ergo ante hoc: eine Konsequenz wird als die Ursache ihrer eigenen Ursache angenommen und interpretiert

Nach Aufzeigen dieser Merkmale wirft sich Eco die Frage auf, welche Kriterien entscheiden ob eine Textinterpretation überzogen ist.

Dabei führt er zunächst ein Beispiel aus der Textinterpretation an, das durch falsche Deutung und Überinterpretation der Zeichen zu Fehlern geführt hat, frei nach dem Prinzip post hoc, ergo ante hoc.

Dabei gilt vielmehr: „Wenn ein Dokument B vor Dokument C entstand, das jenem im Stil und Inhalt ähnelt, darf man annehmen, daß sich B auf die Konzeption von C auswirkte, aber nicht umgekehrt. Bei Bedarf ließe sich höchstens die Hypothese eines archetypischen Dokuments A formulieren, das vor beiden späteren entstand und unabhängig voneinander beeinflusste.“

Am Beispiel Rosettis, der eine Interpretation Dantes im Rahmen der freimaurerischen Traditionen vollzogen hat, zeigt Eco Fehlinterpretationen aufgrund von Ähnlichkeiten, die in einen falschen Zusammenhang gesetzt wurden, auf. 

Anhand eines zweiten Beispiels, eine Gedichtrezeption von William Wordsworths Gedicht „Lucy“ durch Geoffrey Hartmann zeigt Eco die Bedeutung von Isotopien für die Textinterpretation. Beweise werden nur durch „einschlägige semantische Isotopien“ evident. Nach Greimas ist eine Isotopie ein „Komplex mannigfacher semantischer Kategorien, aufgrund deren man eine Geschichte einheitlich lesen kann.“

Dabei ist es vor allem von Bedeutung, vor Einführung einer Isotopie in die Textinterpretation ein bestimmtes Thema festzulegen. Es bestehe zwar immer die Gefahr in eine falsche Richtung zu gelangen, allerdings sei das Risiko sehr gering, denn prinzipiell darf ein Leser im Text „alles finden […], weil der Text solche Assoziationen – zumindest potentiell – fördert.“

Abschließend kommt Eco zum Schluss, dass eine Ähnlichkeit oder Analogie stets von Bedeutung ist, wenn sie „zumindest in gewisser Hinsicht etwas Außergewöhnliches darstellt.“

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